Ich stellte an meinen Mund eine Wache
Jörg  Wehner

 

Inhalt:

Das Land, in dem Tarjan und Mila leben. Wandelt sich zu einem totalitären Staat. Die Machthaber schaffen die Sprache ab. Mit allen Konsequenzen. Wer dagegen verstößt. Muss mit drakonischen Strafen rechnen. Tarjan und Mila. Die anfangs den Veränderungen abwartend begegnen. Müssen am eigenen Leib erfahren. Zu was die Machthaber imstande sind. Und was diese neue Welt für sie bedeutet.




Leseprobe:


*


Ich stellte an meinen Mund eine Wache. Ich verstummte, verdemütigte mich und schwieg vom Guten. 

Ps. 39 Regula Benedicti, Kapitel 6



Cum tacent, clamant. - Indem sie schweigen, rufen sie laut.

 Cicero


Qui tacet, consentire videtur, ubi loqui debuit atque potuit. - Wer schweigt, dem wird Zustimmung unterstellt, wo er widersprechen sollte und konnte.

 Papst Bonifatius VIII.

 


*



Das zweite Dekret 


1

Auf der Straße fielen Schüsse. Vereinzelt. Ein ungewohntes Geräusch. Kaum zu vernehmen. Und schnell abzutun. Bestimmt sind die Jäger. Wieder unterwegs. Kaninchen zu schießen. Das tun sie öfter. Doch zu dieser späten Stunde. Kurz nach Mitternacht. Die Frage bleibt.

Ausflüchte suchen. Was geschieht. Sich sehnen. Nach. In Ordnung.

Wir hatten uns in die hinteren Räume. Unseres kleinen Hauses zurückgezogen. Frühzeitig genug. Und wohlweislich. Um möglichst nichts mitzubekommen. Von dem. Was draußen vor sich ging.

Vor sich gehen. Dem Schall der Worte folgen. Kann dies ein Geschehen leisten. Auch dies ein Vorgehen. In Frage zu stellen. Was. Behauptend daherkommt.

Das Haus lag zur Straße hin. Ließ aber genügend Abstand. Um sich abgeschottet zu fühlen. Geborgen. Eine kleine Trutzburg. Für uns zwei. Zum Beschützen. Vor dem Schlimmsten zu bewahren. Und vor dem Zweitschlimmsten. Das Allerschlimmste. Der eigene Tod. Das Zweitschlimmste. Der Tod des anderen. Vielleicht war es auch umgekehrt.

Jedenfalls hatten wir. Hinter den Mauern. Unter dem niedrigen Dach. Entlegene Winkel gefunden. Dazusein. Wo wir sonst nicht waren. Gezwungenermaßen. Hielt uns auf Trab und in Schach. An Schlaf war nicht zu denken.

Wir warteten ab. Es würde laut werden. Da draußen. Womöglich die Straßen. Hell erleuchtet. Ein abscheulicher. Straßenschein. Zur besseren Sicht. Die Absicht dahinter. Aus dem Dunkeln kommend. Es würde hässlich werden. Ahnten wir. Konnten es uns. Ausmalen. Wenn wir gewollt hätten. Wie malt man. Sowas. Fast war es so: Die Wirklichkeit. Ist noch nicht eingetreten. Nicht für uns. Der Wunsch. So nicht zu sein. Hält sie zurück. Verweigert ihr. Den Zutritt.

Wir warteten ab. Ein verhängnisvolles Wort. Dieses. Abwarten. Das die Zeit. Abnutzen lässt. Und sie verkommen erscheint. Mit Schuld verbunden. Und missbraucht. Auch wenn man Schüsse. Kaum vernehmen konnte. Doch irgendwie. Machen wir uns nichts vor. Steckten sie schon. In unseren Köpfen. Steckschüsse.

Ich hörte. In mich hinein. Was in dir steckt. Kommt irgendwann heraus. Heraus, heraus. Mit dir. Mit deinem Tun. Und Lassen. Als Kinder. Hörten wir das oft.

Vernahm ich die Schüsse. Verhörte ich sie. In dieser neuen Stunde. Von der die Machthaber schwärmten. Dennoch sollten wir derzeit. Nicht alles auf die Goldwaage legen. Was wir sahen und hörten. Legten sie uns nahe. Aufdringlich nahe. Vieles. Würde sich erst mit der Zeit. Einspielen.

Ich denke. An ein Orchester. Aus lauter Dilletanten. Es wird lange dauern. Aber spielt nur. Spielt nur. Euch was vor. Müssen wir zuhören.

Die Zeit vertreiben. Ein lästiges Spiel. Zeitweise. Konnte es gut gehen. Mila. Die Zartbesaitete. Sie saß. Zusammengekrümmt im Sessel. Soweit ihr Bauch das zuließ. Ihre Knie umschlungen. Die Hände. Auf ihre Ohren gepresst. Um nichts zu hören. Und summte leis. Kinderlieder. Wohlgemerkt. Nur die Melodien.

Gesumme. Ohne viel Sinn. Weil die Worte fehlten. Obwohl wir alle. Sie kannten. Seit Kindheitstagen. Das blieb zum Glück unverfänglich. Sie nur noch zu summen. Ohne Gefahr. Summa summarum.

Kinderlieder. Und Schüsse. Die Mauern waren nicht dick genug. Sie insgeheim abzuwehren. Deswegen dichtete Mila. Ihre Ohren ab. Und summte. In sich hinein. Dagegen an. Ihr Mittel gegen. Zerschossene Stille.

Sie hatte sich abgekapselt. An Reden. War nicht mehr zu denken. Da traf es sich doch. Dass wir es sowieso nicht mehr durften. Seit Mitternacht. War die Sprache verboten.


2

Die Anordnung. Kam klar und deutlich. In den Nachrichten verlesen. Aus besonderem Anlass. Ein letztes Mal. Auf Papier gedruckt. Und verteilt. Die Sonderausgabe. In den Zeitungen. Der Aufmacher. Die Herausgabe der Wahrheit. Ein festlicher Akt. Ein Manifest ohnegleichen. Sie hatten das unübersichtliche Land. Eingesammelt. In einer neuen Idee.

Ein Land bricht auf. In neue Zeiten. War die Überschrift. Gepaart mit Bildern. Die Gehende zeigten. Aufbrechende. Jeglicher Art. Die das Sitzenbleiben. Schwer erträglich machten. Zur Schwerfälligkeit degradierten. Und geradezu. Körperlich spürbar wurde. Wie erleichternd. Mitgehen ist. Erleichtern. Die neue Diät. Die Überschrift. Und all die betörenden Bilder. Sollten uns glauben machen. Es war so. Was geschrieben steht. Steht fest. Selbst die Machthaber. Sonst Ablehnende jeglicher Schrift. Bedienten sich. Zu diesem Zweck. Ein letztes Mal. Dieser Annahme.

Die Mittel. Die sie in Anspruch nahmen. Sollten am Ende. Dies bezeugen. Und das letzte Wort behalten. Unwidersprochen sein. Danach. Wird es keine Worte mehr geben. Die Schrift wird verblassen. Und andere Sichten. Mit ihr. Das letzte Wort. Wird ihres sein.

Ein monströser Plan. Geschmiedet in langen Nächten. Vor lodernden Feuern. Wenn nicht vor Augen. So doch im Innern. Ein brennender Schmerz. Der sie trieb. Endlich. Zum Großen zu verleiten. Dazu überzugehen. Überläufer zu finden. Um sich zu scharen. Und das Ganze. Nicht in unzähligen. Einzelnen Betrachtungen. Verkleinernden Debatten. Die sich womöglich aufheben. Aus dem Blick zu verlieren.

Die Macht ist als erstes. Die Macht der Betrachtung. Hatten sie für sich erkannt. Als nächstes. Die Macht der Mitteilung. Die sie in die Welt hinaussandten. Diener ihrer Gesinnung. Verstärker der Ansichten. Die ihren Dienst taten. Und verbreiteten. Auch Maschinen. Derart abgerichtet. So dass die Folgen. Zunahmen. Die Zahl der Folgenden. Und später Folgsamen stieg. Weil die Behauptungen. Zunächst noch als Selbstbehauptung verstanden. Angriffe wurden. Sich ausweiteten und vervielfältigten. Beinahe unzerstörbar.

Was im Dunkeln lag. Reklamierten sie für sich. Es aufzudecken. Sprachen von Verschwörung. Und zettelten sie dabei. Maßlos an. Deckten auf. Was sie wollten. Und verdeckten. Gleichermaßen. Ein perfides Spiel. Sie gaben vor. Ihre Pflicht zu tun. Keinen Stein. Wollten sie. Auf dem anderen lassen. Doch drehten sie diese. Nur um. Die Unterseite. Feucht und dunkel. Trocknete. Das Dunkle. Wurde hell.

Jeder Haushalt. Bekam die Nachricht. In allen Briefkästen. Lag sie vor. Das war gut organisiert. Und von langer Hand geplant. Die Druckereien. Hatte man angewiesen. Und unter Kontrolle gebracht. Generalstabsmäßig. War das Lieblingswort der Planer. Nichts sollte schieflaufen. Niemand sollte leer ausgehen. Von dieser Nachricht. Nicht erreicht. Von ihr verschont. Und ihre Konsequenzen. Nicht fürchtend.


3

Mila zieht die Nachricht. Aus dem Briefkasten. Wir sind verwundert. Überhaupt darin. Etwas zu finden. Beschriftetes Papier. Gab es schon länger nicht mehr. Es ist selten geworden. Bilder regieren. Die Welt. So ist das heute. Klingt so. Als wär nichts. Dahinter. Die Umstellung. Auf diese neue Zeit. Hat längst begonnen.

Und auf dem Papier nun. Eine ganze Erklärung. Von oberster Stelle. Die Machthaber. Haben gesprochen. Zu uns allen. Es muss wichtig sein. Papyrussieg. Nur dieses eine Mal noch.

Wir lesen die Nachricht. Und gehen ins Haus. Sagen nichts. Schütteln nur. Den Kopf. Mila ihre. Haarpracht dazu. Die Köpfe. Es sind zwei. Die dennoch. In eine Richtung denken. Und sich synchron bewegen. Hin und her.

Glaubst Du das. Sie hat wie ich. Die Frage im Kopf. Auch schon im Mund. Ich seh es ihr an. Wagt aber. Genauso wenig. Sie auszusprechen. Wie ich. Stattdessen Dieses Schütteln ihres Kopfes. Nur immer wieder den Kopf. Als schüttele sie etwas ab. Wie Bäume ihr welkes Laub. Schwarze Gedanken. Ihre schwarzen Haare. Geraten aus der Fassung. Ein Sinnbild. 

Das darf. Doch nicht sein. Doch nicht wahr sein. Das ist ein schlechter Scherz. Schlägt mein Kopf. Die Richtung ein. Meiner Gedanken. Bestimmt sind Kritiker.  Die Urheber. Die sich zuletzt immer wieder hervor getan haben. Aus der meinungslosen Menge. Sie wollen uns aufrütteln. Mit fragwürdigen Mitteln. Klar. Die Machthaber. Haben Andeutungen gemacht. Aber soweit. Können sie doch nicht gehen. Wenn wir ihnen. Folgen sollen.

Wir kommen ins Zimmer. Mila. Mit dickem Bauch. Ist der Begriff dick. Hier angebracht. Jedenfalls. Ihr Kindchengewölbe. Vor sich hertragend. Wie eine Monstranz. Ein wenig schwerer. Atmend. Lasst mich in Ruhe. Wird sie fast sagen wollen. Ich trage schwer genug. Dies Kind. Zur Welt zu bringen.

In der Mitte. Steht der Fernseher. Wir gehen. Geradewegs zu darauf. Von verschiedenen Seiten kommend. Beide. Mit derselben Idee. Ich lasse ihr. Den Vortritt. Jetzt wo sie sich. Schweren Atems. So weit vorgekämpft hat.

Mila will. Genauso wenig wie ich. Irgendwelchen. Unverantwortlichen Leuten. Auf den Leim gehen. Die Dinge in die Welt setzen. Die nicht stimmen. Unsere leise Hoffnung. Soll nicht angekratzt werden. Dass dies Papier doch lügt. Gleich allen Papieren zuletzt. Wie die Machthaber sagen . Unglaubliches. Soll nicht von uns Besitz ergreifen.

Sie drückt den Knopf. Das Gerät glimmt. Dann die erste Schalte. Zu den Massen. Die sich versammeln. Lautstark. Zu allem entschlossen. Ausgiebig. Bestreichen die Kameras. Die unnachgiebige Menge.

Das zweite Dekret. Wurde im Fernsehen. Immer wieder verlesen. Ein letztes Mal. Ließ man die Sprache zu. Den Bildern beigegeben. Die nickende Menschen zeigen. Auf Kundgebungen. Deren Größe beeindruckte. Und übermannte. Menschen, die einsichtig sind. Die anerkennen. Was die Machthaber wollen. Und welche Mühen. Sie auf sich nehmen. Menschen. Die glücklich aussehen. Und folgen.

Das zweite Dekret. Lautete wie folgt:

Ihr habt uns gewählt. Und dieses Schicksal. Wir wollen euch dienen. Wie ihr es verdient. Wir wollen euch den Weg zeigen. Den einzigen Weg. Der möglich ist. Um alles zu verlassen. Was ihr verabscheut. Und hasst.

Als erstes die Sprache. Die verleumdet. Und in die Irre führt. Mit ihren ewigen. Unverständlichkeiten. Wir hatten sie gewählt. Um uns zu verstehen. Doch führt es uns nur. In lauter Unverständlichkeit. Was liegt also näher. Sie abzuschütteln. Wie eine Fessel. Die uns am Gehen hindert. In die Richtung. Die uns allen guttut.

Worte Stiften. Verwirrung. Zetteln. Kriege an. Lasst uns die Worte. Abwählen!

Am Anfang war das Bild. Die Steinzeitgemälde. Bezeugen ist. Lasst ins den Ausflug ins Wort beenden. Der uns die Verheerung bescherte. Falsche Nachrichten. Und falsche Schlussfolgerungen. Lassen wir dieses verminte Gelände hinter uns.

Wir werden fortan. In Bildern sprechen. Bilder versteht jeder. Ein Bild sagt mehr. Als tausend Worte. Alle müssen das lernen. Ohne Ausnahme. Die Worte haben ausgedient. Was führten sie uns zu Kriegen. Wir müssen uns. An die Bilder halten. Die wir in uns tragen. Sie sagen die Wahrheit. Nicht das Geplapper. Das müssen wir einstellen.

Aber was machen wir mit denen. Die sich nicht daran halten. Die unser Einverständnis nicht achten. Und uns dazwischenreden. Um Streit und Zwietracht zu säen. Wir müssen ihnen Einhalt gebieten. Sie in die Schranken verweisen. Ihnen den Mund verbieten. Wie wir uns allen. Jeder und jede. Soll darin gleich sein. Die Folgsamen werden. Ein Volk. Für die anderen aber. Die aufstacheln. Wird es nicht folgenlos bleiben. Sie werden gestellt. Und ihnen für immer. Der Mund verboten. Mit aller Macht. Die wir haben. Wir haben sie. Gewarnt.

Dies tun wir. Für euch. In euren Diensten. Dies ist ein historischer Tag. Von Mitternacht an. Wird Ruhe einkehren. Auf ewig. Wir werden für immer schweigen. Wir sind das Volk. Der Folgsamen.

Der Beitrag endet in Jubel. Frenetischen. Hemmungslosen Jubelschreien. Die alles niederjubeln. Was sich ihnen. In den Weg stellen will. Entgegenstellen. Nur wenige. Halten den Mund. Den sie sich erschreckt halten. Noch weniger. Schreien dagegen an. Skandieren Sprüche. Wollen ihre Freiheit zurück. Was wird aus ihnen.

Und wenn sie nicht gestorben sind. So sterben sie heute.

...




Sie wollen wissen, wie es weitergeht mit Mila und Tarjan? Schreiben Sie mir über den Kontakt eine Nachricht. Oder tragen Sie sich ins Gästebuch ein.




Seien Sie mein Gast auf dieser Seite - gerne sichtbar im 
Gästebuch,


Was es über mich zu sagen gibt?